Über das Forschungsprojekt ArIS

Das Arzneimittelrezept im Fokus – Interdisziplinäres Forschungsprojekt mit Unterstützung des BMBF

Projektskizze

Das Arzneimittelrezept ist die formelle, schriftliche Aufforderung eines Arztes an einen Apotheker zur Abgabe von Arzneimitteln an einen bestimmten Patienten. Jedes Jahr werden Millionen von Exemplaren dieses unscheinbaren Artefaktes ausgestellt. Dabei wird meistens seine Bedeutung in der Arzneimitteltherapie von Patienten übersehen. 

Dieser Alltagsgegenstand „Rezept“ ist nun im Fokus eines neuen Forschungsprojektes der Universtäten Aachen, Münster und Marburg, welches durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung mit ca. 1 Million Euro über die nächsten 4 Jahre gefördert wird. Gemeinsam mit dem Deutschen Apotheken Museum Heidelberg untersuchen Wirtschaftsinformatiker und Pharmaziehistoriker die Rolle des Arzneimittelrezeptes im deutschen Gesundheitssystem ab der Frühen Neuzeit bis in die Moderne.

Die historische Betrachtung des Arzneimittelrezeptes in einem interdisziplinären Kontext zeigt, dass seine soziale Bedeutung über die einer Aufforderung zur Ausgabe eines Medikamentes hinausgeht. Die Verbundpartner haben sich zum Ziel gesetzt, die im Arzneimittelrezept eingeschriebenen gesellschaftlichen Innovationen und Gestaltungsentscheidungen der Vergangenheit aufzuzeigen. Aufgrund seiner eindeutigen Identifizierbarkeit im Verlauf der Zeit bietet das Rezept auf einzigartige Weise, Zeugnis über die gesundheitspolitischen, ökonomischen, informationstechnischen und medizinischen Innovationen der Zeit und Denkanstöße für die zukünftige Informationsinfrastruktur des Gesundheitswesens zu geben.

So verwundert es die Verbundpartner nicht mehr, wie kontrovers über die Digitalisierung eines solch "simplen" Mediums der Informationsübertragung gestritten werden kann.

Hierzu erklärt Herr Dr. Stefan Schellhammer (Institut für Wirtschaftsinformatik der Universität Münster):

„Das elektronische Rezept (eRezept) ist letztlich der Übergang eines physischen, papierbasierten Artefaktes in eine digitale Repräsentationsform und damit eine weitere innovative Entwicklung des Arzneimittelrezeptes."                    

Allerdings sind die Forscher zuversichtlich, dass die Projektforschungsergebnisse dazu beitragen können, das eRezept mit seinen komplexen Akteurskonstellationen, die den Alltagsgegenstand ‚Rezept‘ hervorbringen und verwenden, zu gestalten.

Vorgehen

Das Projekt sieht eine Aufteilung in vier sequentielle Schritte vor, die im Folgenden kurz skizziert werden.

Schritt 1: Digitalisierung und Aufbereitung einer Rezeptsammlung

Ziel des ersten Schrittes ist die Erstellung einer digitalisierten Datenbasis aus historischen Rezepten. Arzneimittelrezepte liegen bislang kaum in digitalisierter Form vor. Für den Projektzweck und die unterschiedlichen Analysen durch die Verbundpartner an den verschiedenen Standorten müssen die Rezepte digital einsehbar sein.

Zudem werden Kataloge von Rezepten verschiedener Museen erstellt , die dann anhand von Meta-Daten durchsuchbar sein werden. Neben der Vernetzung mit anderen Museen dieser Art sollen auch andere, nicht am Projekt beteiligte Disziplinen angesprochen werden, für die eine solche digitale Rezeptsammlung einen wertvollen Fundus empirischen Materials darstellt.

Schritt 2: Erstellung einer Biographie des Arzneimittelrezepts

Im zweiten Schritt wird eine Periodisierung und Identifizierung von Gestaltänderungen des Artefakts "Arzneimittelrezept" vorgenommen. Das Artefakt wird dafür in seiner jeweiligen Erscheinungsform in Wechselwirkung mit Änderungen seiner Umwelt im Zeitablauf dokumentiert. In Analogie zur Geologie stellt das Arzneimittelrezept also einen "Bohrkern" in die Vergangenheit dar, der in seine Schichten zerlegt werden will. Die Schichten stehen hier für zu identifizierende Gestaltänderungen wie Layout, Inhalt, Form, Sprache, Schrift etc. Diese können unterschiedlichster Natur sein und werden nicht a priori festgelegt , sondern aus der Zusammenschau der Artefakte identifiziert. Aus den daraus entstehenden Schichten sind qualitative Brüche zu beschreiben, die in der Folge als Analyseeinheit für weiterreichende Veränderungen der Umwelt heranzuziehen sind.

Schritt 3: Analyse der Infrastrukturentwicklung

Im Arzneimittelrezept sind gesellschaftliche Innovationen und Gestaltungsentscheidungen der Vergangenheit eingeschrieben. Darin zeigt sich aber auch der Vollzug von Infrastrukturentwicklung als gesellschaftlicher Prozess. Dies soll im Folgenden anhand von drei Perspektiven skizziert werden.

  1. Das Rezept als Kontrollinstrument: Das Arzneimittelrezept ist Ausdruck und Ergebnis einer bestimmten, von Gesetzgebern intendierten Arbeitsteilung zwischen Arzt und Apotheker. Es definiert die Beziehung zwischen beiden Professionen. Kodifiziert wurde diese erstmals in mittelalterlichen Medizinalordnungen (Schmitz 1998; Friedrich & Müller-Jahncke 2005), durch die das Rezept erst seine Notwendigkeit erlangte. Die Erscheinungsform des Arzneimittelrezeptes ist also bestimmt durch juristische Festlegungen, die seinen Charakter als Urkunde bestimmen.
  2. Das Rezept als Kommunikationsinstrument: Die heutigen Ausdrucksmöglichkeiten auf Arzneimittelrezepten (Dilg 2003) werden von den Vorgaben amtlicher Rezeptformulare bestimmt, die ihren Ursprung Mitte des 20. Jahrhunderts haben. Die darin verwendeten Standards und Codes verweisen auf die automatisierte Kommunikation verschiedener Akteure, wie Apothekenrechenzentren, Krankenkassen und anderen öffentlichen Institutionen. Erst durch die Verwendung dieser Standards wurde die spätere Aufbereitung, Aggregation und Analyse der Rezeptdaten ermöglicht, deren Ergebnisse die politische Auseinandersetzung bestimmen. Die Gestaltung derartiger Standards wirkt weit über ihre Entstehungszeit hinweg und konserviert vorgesehene institutionelle Strukturen.
  3. Das Rezept als Dokument medizinischen Fortschritts: Auf der inhaltlichen Ebene ermöglichen Arzneimittelrezepte Rückschlüsse auf akzeptierte medizinische Praxis ihrer Zeit. Deren jeweiliger Stand wurde zunächst in Rezeptsammlungen einzelner und dann in Form von wissenschaftlich und amtlich anerkannten Pharmakopöen erfasst. Pharmakopöen erlangten zunächst auf lokaler Ebene Bedeutung für die Verschreibungspraxis. Die Herausbildung nationaler und nun einer europäischen Pharmakopöe spiegeln den Prozess gesellschaftlicher Entwicklung wider, der Ausdruck des wissenschaftlichen Diskurses und politischen Handelns ist. Zeitgenössische Rezepte geben Aufschluss über den Fortgang dieser gesellschaftlichen Prozesse.

Der dritte Schritt zielt dabei auf eine Synthese der bisher erreichten Teilergebnisse ab, wobei die oben eingeführten Perspektiven dazu dienen, die zu erwartende Komplexität handhabbar zu machen. Neben der Beschreibung der sich vollziehenden Gestaltungsprozessen und ihrer Analyse werden die Rollen der einzelnen Akteure und ihre Veränderung im Zeitablauf analysiert. Damit rückt der Entwicklungsprozess der Infrastruktur in den Vordergrund.

Schritt 4: Ergebnisverwertung und Öffentlichkeitsarbeit

Ziel des letzten Schrittes ist die Schaffung von Sichtbarkeit und Nutzen in wissenschaftlichen wie öffentlichen Diskursen. In beiden involvierten Teildisziplinen stellt das Vorhaben ein Novum sowohl in seiner Methodik wie auch seiner Fragestellung dar. Seine Ergebnisse und auch das Vorgehen werden durch entsprechende Veröffentlichungen in der Wissenschaft zur Diskussion gestellt. Die erstellte Datenbasis soll in geeigneter Form anderen Wissenschaftlern online zugänglich gemacht werden. Die interessierte Öffentlichkeit soll durch adressatenadäquate Veröffentlichungen mit dem Projekt in Berührung kommen. Hier ist zu beachten, dass gerade für kleine und mittlere Museen die moderne Informationstechnik neue Formen der Ausstellung und Interaktion ermöglicht, die es erlauben den Herausforderungen in Bezug auf Lage und Ausstellungsfläche zu begegnen. In diesem Zusammenhang sollen neben einer Online-Präsenz, ein Konzept für die Umsetzung einer virtuellen Ausstellung, z.B. mit Unterstützung durch fortschrittliche Technologien wie Virtual Reality oder Augmented Reality, entwickelt werden. Die Umsetzung wird im Rahmen eines Folgeantrages angestrebt.